Von Lothar W. Kroh
Backstein findet sich als Baumaterial seit über 2000 Jahren in nahezu allen Bauepochen. Die Römer bauten ihr Pantheon in Rom oder das Amphitheater in Taormina auf Sizilien daraus. Besonders in der Romanik und der gotischen Epoche als Baumaterial verwendet, führt sein Weg bis in den Backsteinexpressionismus des vergangenen Jahrhunderts. Auch heute ist die Beliebtheit des Backsteins wegen seiner Attraktivität ungebrochen.
In Norddeutschland sind es vor allem die großen Backsteinkirchen, die seit dem 11. Jahrhundert in nahezu jeder mittelalterlichen Stadt entlang der Nord- und Ostseeküste stehen. So wie die St.Marien-Kirchen zu Lübeck, in Rostock oder in Stralsund, ist auch unser Doberaner Münster aus Backstein errichtet. Hier im Norden Deutschlands wurden aber auch Stadttore, Wirtschafts- und Speichergebäude, wie sie sehr typisch gerade für die Hansezeit waren, häufig in Backstein ausgeführt.
Sieht man sich eine aus Backsteinen errichtete Wand oder Mauer etwas genauer an, fällt jedem Betrachter sofort ins Auge, dass da neben dem Backstein, besser noch zwischen den Backsteinziegeln, etwas anderes gut sichtbar ist, der Mörtel der Fugen. Den braucht es natürlich in erster Linie für den Zusammenhalt der Backsteine, aber mit seiner oft weißen bis beigen Farbe bildet er einen wunderbaren Kontrast zur roten Ziegelfarbe. Die Fugen lockern die Fläche auf und verleihen dem Gebäude eine sichtbare Netzstruktur. Man würde ein typisches Bauelement – den Verband aus Läufer, Läufer und Binder – als eine Anordnung von Ziegeln einer Lage (lang-lang-kurz) weniger deutlich als wiederkehrendes Bauelement wahrnehmen, wenn es nicht durch den weißen Mörtel kontrastreich hervorgehoben würde.
Aquarell von Lothar W. Kroh
Dass man Ziegel aus lehmhaltigen Ton herstellt und durch einen Brand härtet, „bäckt“, ist hinreichend bekannt. Die Partikel des Tons schmelzen bei etwa 900 Grad an ihrer Oberfläche, sintern dabei zusammen und der einfache Ziegelstein ist fertig. Hier steckt natürlich ein ganzes Kapitel Bauwissenschaft dahinter (Rohstoffe, Zuschlagstoffe und Technologie des Brennens), aber das soll hier nicht weiter vertieft werden. Das heutige Thema ist viel mehr der Kalkmörtel selbst. Oft wird er stiefmütterlich behandelt oder gar nicht erwähnt, obwohl er beim Backsteinbau die eben zitierten, wichtigen baulichen und ästhetischen Funktionen erfüllt.
Im Zusammenhang mit der Rekonstruktion des Wirtschaftsgebäudes im Bad Doberaner Zisterzienserkloster ist man quasi mit der Nase direkt auf den Kalk, oder was davon übrig geblieben ist, gestoßen. Bei den Arbeiten an den Fundamenten konnte von den Bauleuten der Fa. Dorsch eine große mittelalterliche Kalkgrube freigelegt werden. Sie befindet sich, seitlich eingerahmt von großen Feldsteinen des Fundaments, im neuen Zugangsbereich des Gebäudes.
Einer Aussage der Bauforscher von „WinterFuchs“ zufolge könnte es sich wirklich um eine Kalkgrube handeln, die mit der Errichtung des Wirtschaftsgebäudes (bis etwa 1295) zusammenfällt. Unspektakulär finden sich Reste der Kalkgrube als weißer Belag auf den Fundamentfeldsteinen. Was aber ist eigentlich hier in der Grube mit dem Kalk gemacht worden?
Zunächst darf man davon ausgehen, dass der Kalk für den Mörtel aus der näheren Umgegend von Doberan stammt. Sehr wahrscheinlich und durch eine Einschätzung von Martin Heider, Kustos des Doberaner Münsters, unterstützt, stammt der Kalk aus einer Kalkgrube bei Brodhagen, die schon im 12. Jahrhundert in Betrieb gewesen sein muss. Hier wurde der Kalk aus der Grube abgebaut und vor Ort zu Brandkalk oder ungelöschtem Kalk gebrannt.
Vielleicht möchte der eine oder andere von Ihnen gern wissen, was sich hinter Kalk und dem Brennvorgang verbirgt, wie also aus dem Kalk der Mörtel für den Backsteinbau wird? Einige einfache Erläuterungen sollen das kurz darlegen, damit man den Prozess der Herstellung von Mörtel und seine Funktion als Baustoff besser verstehen kann. Ich verzichte dabei auf tiefgründige chemische Einzelheiten, sondern versuche das Thema allgemeinverständlich anzusprechen.
Kalkstein, der Rohstoff für den Mörtel besteht aus natürlichem Calciumcarbonat. Das sind zumeist kristalline oder amorphe Überreste von Kleinstlebewesen wie Muscheln oder Korallen. Okay, also schlicht kristalliner Kalkstein in verschiedenen Modifkationen, Marmor, Kalkstein oder Kreide, wobei die Härte in der Reihenfolge abnimmt.
In Brodhagen wird man Kalkstein in Form von unterschiedlich sedimentiertem Gestein (Kreide?) vorgefunden haben, das man dem Brennvorgang im Kalkofen übergeben hat. Der Kalkofen wurde vor Ort mit Holz befeuert und dabei wandelt sich der Kalkstein in Calciumoxid um und gleichzeitig wird Kohlendioxid frei. Wer es gern etwas chemisch möchte, heißt das: CaCO3 = CaO + CO2. Das Calciumoxid ist das finale Produkt des Brennens, das bei Temperaturen um die 900 bis 1000 Grad geschieht.
Der Branntkalk, also das CaO, ist eine stark alkalische Substanz. Im Kontakt mit Wasser wird er ganz schön heiß, weil sich der Branntkalk stark exotherm zu Calciumhydroxid Ca(OH)2 umsetzt, gelöscht wird. Wider für die „Chemiker“ unter ihnen: CaO + H2O = Ca(OH)2. Man wird höllisch aufgepasst haben, dass es beim Transport des gebrannten Kalks von Brodhagen nach Doberan nicht regnete, sonst läuft das Löschen ja schon auf dem Ochsengespann ab.
Nun können wir uns mitten in die Kalkgrube des Wirtschaftsgebäudes begeben. Hier nämlich erfolgt der planmäßige Vorgang des Kalklöschens. Es muss eine schwierige und gefährliche Arbeit in der offenen Kalkgrube gewesen sein, denn der Branntkalk muss von Hand und einer hölzernen Schaufel möglichst homogen mit Wasser vermischt werden und es entsteht, wie bereits bemerkt, viel Wärme. Die Ausmaße der Grube sprechen dafür, dass das Löschen des Kalks deshalb mit relativ geringer Schichtdicke des Branntkalks vorgenommen wurde. Zum anderen ist das Produkt überhaupt nicht hautfreundlich! Der Zusatz von Sand, Wasser und anderen Zuschlagstoffen ergibt dann aus dem gelöschten Kalk den gebrauchsfähigen Mörtel für den Bau. Weil man gelöschten Kalk nicht lagern kann, er würde auskristallisieren und damit seinen Haftkraft verlieren, war man darauf angewiesen, gelöschten Kalk immer „frisch“ herzustellen. Das geschah am besten direkt vor Ort, also direkt auf der Baustelle, in einer Kalkgrube.
Und jetzt kommen wir zum letzten Schritt auf dem Weg zur steinharten Mörtelfuge, dem Rekristallisieren oder Aushärten. Bei diesem abschließenden Prozess nimmt der gelöschte Kalk, das Calciumhydroxid, Kohlendioxid aus der Luft auf und es bildet sich wieder Kalkstein, Calciumcarbonat. Wieder ein bisschen chemisch: Ca(OH)2 + CO2 = CaCO3 + H2O. Nun hat der Mörtel seine Gebrauchseigenschaften erreicht und wirkt als Binder zwischen den Backsteinen. Die heute beeindruckenden, gewaltigen Bögen des Wirtschaftsgebäudes, die sparsam eingesetzten Schmuckelemente an den Backsteinfassaden und nicht zuletzt auch die Fenster und Blendnischen zeugen von der Haltbarkeit des Backsteins aber eben auch von der Funktionalität und Haltbarkeit des Kalkmörtels.
Man müsste vielleicht in neuerer Zeit und mit dem Blick auf den Klimawandel viel mehr bauen, denn immerhin wird dabei CO2 gebunden, auch wenn es zuvor beim Brennen freigesetzt wurde, also ist der Prozess immerhin klimaneutral.
Lothar W. Kroh