von Rita Roßmann
Wenn ich an meine Kindheit und Jugend zurückdenke, erinnere ich mich besonders an die kalte Jahreszeit, in der meine Mutter immer wieder einige Stangen Kren – so nennt man den Meerrettich in Süddeutschland – aus dem Garten holte. Sie bereitete daraus eine köstliche Soße zu Rindfleisch oder servierte den Meerrettich zu Fisch, insbesondere zum Silvesterkarpfen. Die Stangen wurden geputzt und fein gerieben. Dabei begannen die Augen zu tränen, und die verschnupfte Nase war auf einmal wieder frei.
Viele Besucher des Klostergartens Doberan denken heute beim Meerrettich auch vor allem an eine Gewürzpflanze. Doch warum wächst der Meerrettich in einem der zahlreichen Kastenbeete im Kräutergarten des ehemaligen Zisterzienserklosters Doberan?

Tatsächlich handelt es sich auch um eine alte Heilpflanze, die auch als „Penicillin aus dem Garten" oder „pflanzliches Antibiotikum" bekannt ist. Meerrettich enthält neben den Vitaminen B1, B2 und B6 besonders viel Vitamin C, während Kalium, Kalzium, Magnesium, Eisen und Phosphor wichtige Mineralstoffe und Spurenelemente liefern. Die auffälligsten Wirkstoffe sind jedoch die für Kreuzblütler typischen Senfölglykoside, die für die Schärfe und den charakteristischen Geruch verantwortlich sind. Senföle wirken antimikrobiell, antiviral, pilzhemmend und immunstimulierend. Aufgrund dieser gesundheitsfördernden Inhaltsstoffe wurde der Meerrettich vom Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise Paracelsus e.V. zur Heilpflanze des Jahres 2021 gekürt. In Deutschland wird Meerrettich unter anderem in Baden, im Spreewald und vor allem in Franken angebaut. Die Region ist auch der Schauplatz des Kriminalromans Das Meerrettich-Komplott (2025) von Jan Beinßen.
Vom Mittelalter bis in die Neuzeit hatte Meerrettich als Heilmittel eine wichtige Bedeutung. Hildegard von Bingen (ca. 1098–1179) setzte den „Merrich" bei Brust- und Bauchschmerzen ein. Verdauungsbeschwerden, hartnäckiger Husten, Natternbisse und Pilzvergiftungen wurden früher damit behandelt. Bei Entzündungen im Mund- und Rachenraum wurde gegurgelt, und Lungenkrankheiten versuchte man mit Meerrettichsaft zu heilen. Viele dieser Anwendungen finden sich heute noch in der Volksheilkunde. Aufgrund seines hohen Vitamin-C-Gehalts und seiner langen Haltbarkeit wurde Meerrettich früher auf langen Seefahrten gegen Skorbut eingesetzt.
Im christlichen Brauchtum wird die wohltuende Wirkung der bitter-scharfen Wurzel symbolisch mit dem Erlösungswerk Christi gleichgesetzt, weshalb sie zu den Osterspeisen gehört.

Zwei bewährte Anwendungen aus der Erfahrungsmedizin lassen sich heute einfach im Alltag nutzen:
• Bei Blasenentzündung und Atemwegsbeschwerden kann die frische, fein geriebene Wurzel (10–15 g) mit der gleichen Menge Honig oder Joghurt vermischt werden; davon nimmt man dreimal täglich einen Teelöffel ein.
• Auch ein Umschlag aus geriebener Meerrettichwurzel ist ein bewährtes Hausmittel. Bei leichten Muskelschmerzen legt man ein Leintuch auf die schmerzende Stelle, bei Atemwegserkrankungen auf die Brust, und verteilt darauf den frisch geriebenen Meerrettich. Die Auflage wird abgedeckt und sollte nicht länger als 5–10 Minuten einwirken. Hautkontakt ist zu vermeiden, da Hautrötungen auftreten können.

Im Klostergarten Doberan wächst der Meerrettich besonders üppig. Als winterharte Heilpflanze kann der ausdauernde Wurzelstock des Kreuzblütlers eine Länge von etwa einem halben Meter und einen Durchmesser von rund 4 cm erreichen. Im Frühjahr treibt die Meerrettichwurzel große, dunkelgrüne, lang gestielte Blätter aus, die bis zu 1 m hoch werden können. Aus der Mitte wächst ein Blütenstängel mit kleinen, lanzettlichen Blättern. Ab Mai blühen die kleinen weißen Blüten, die einen angenehmen Duft verströmen. Ab Oktober trocknen die Blätter, und die Wurzel ist erntereif.
Es ist bemerkenswert, dass uns die heimische Natur auch in der kalten Jahreszeit mit dem Meerrettich ein so gesundheitsförderndes Heilkraut schenkt, das wir für unser Wohlbefinden nutzen können.
