Gewölbesanierung – die Zweite 

von Lothar W. Kroh

Einen Bericht zur einen Bericht zur ersten Informationsveranstaltung in 2023 finden sie > hier

Angenehme Kühle umfängt die Besucher des Doberaner Münsters, als sie aus dem warmen Sommernachmittag das Kirchenschiff betreten. Hier haben der Verein der Freunde und Förderer des Klosters Doberan und der Münsterbauverein zu einem Vortrag eingeladen, den Münsterkustos Martin Heider und Restaurator Peter Wagner zum Fortschritt der Gewölbesanierung im Doberaner Münster halten. Übertitelt ist der Vortrag: „Weitere Erkenntnisse zur Restaurierung der Deckengewölbe des Doberaner Münsters von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart“. Als Vertreter der Vereine begrüßen Frau Sabine Krahn-Schulze und Herr Manfred Barth zunächst die Zuhörer und stellen die beiden Vortragenden mit einer kurzen Vita vor.

Der Einladung sind etwa 50-60 interessierte Teilnehmer gefolgt, die mit Spannung auf die neuen Informationen zum Fortgang des Baugeschehens warten. Die Inhalte des Vortrags rekrutieren sich, was hätte man anders erwartet, aus akribisch ausgewerteten Archivalien zur Klostergeschichte, denen sich besonders Martin Heider widmet und aktuellen Baubefunden, die durch die Restaurierung vor Ort aufgefunden werden. Im Vergleich zum ersten Vortrag sind eine Vielzahl neuer Erkenntnisse hinzugekommen, so dass es sich lohnt eine neue Informationsveranstaltung zu initiieren.   

Schon wenn man das Kirchenschiff betritt fällt sofort auf, dass sich das Gerüst zur Gewölbesanierung in Jahresfrist aus dem Altarraum weiter in westlicher Richtung verschoben hat und nun den Kreuzaltar am ehemaligen Lettner einrahmt. Bis zum Ziel, der Westwand, verbleiben vielleicht noch gut 20 Meter.

Was den Zuhörern durch den Vortrag sofort deutlich gemacht wird ist die fragile Statik der Klosterkirche, die über die Jahrhunderte immer bestanden hat und deren Erhalt einer wahren Sisyphusarbeit gleicht. Von Beginn an war es das Anliegen der zisterziensischen Baumeister dem Kirchenbau die notwendige Stabilität zu verleihen und diese auch zu erhalten. Vielleicht gehört schon das bei Ausgrabungen vor einigen Jahren im östlichen Abschluss des nördlichen Seitenschiffs und im nördlichen Chorumgang und nun auch im südlichen Chorumgang aufgefundene, ca. 80 cm starken Feldsteinfundament dazu, das möglicherweise schon den romanischen Vorgängerbau, mit Sicherheit aber die Pfeiler und Wände der gotischen Kirche stabilisieren. Im Grunde ist das ja auch bis heute gelungen, denn unser Münster ist, Gott sei Dank, mittlerweile schon gut 750 Jahre „ein feste Burg“. Für die gotische Kirche, deren herausragende Bauform bereits im ersten Bericht zur Gewölbesanierung gewürdigt wurde (vgl. Experimentalbau, im ersten Bericht zur Gewölbesanierung), bleibt der Erhalt der Stabilität eine immerwährende aktuelle Aufgabe. Peter Wagner resümiert im Vortrag: „dass immer noch Bewegung im Gebäude ist!“ und das wird wohl oder übel auch so bleiben.

Die Ursachen der Bewegung im Bau sind Instabilitäten, die mit der Ableitung der Kräfte vom Dach auf die Wände des Baus zusammenhängen. Der Wunsch der Zisterzienser nach einer hohen hellen Kirche, versuchte man durch die Verlagerung der Strebebögen unter das Dach zu lösen. Die Notwendigkeit, das Problem der Druck- und Zugkräfte auf andere Weise zu kompensieren, wurde damals offenbar nicht ausreichend erkannt und somit auch nicht ausreichend umgesetzt. Die hölzernen Zuganker in den Hochschiffen, die die Wände und innen liegenden Säulen der Kirche zusammenhalten, haben diesen Schwachpunkt nur bedingt ausgeglichen. Mit dem Bau des Doberaner Münsters hat man im wahrsten Sinne des Wortes Neuland im mittelalterlichen Backstein-Kirchenbau dieser Größe betreten, was Statiker und Restauratoren bis in unsere Zeit hinein beschäftigt und der Grund für die aktuellen Restaurierungsarbeiten ist. Außerdem haben Plünderungen im und nach dem 30jährigen Krieg viel Schaden, vor allem im Dachbereich, angerichtet.

Was ist nun aber die Grundlage dafür, dass sich das Doberaner Münster heute als ein, wenn nicht der herausragende Bau der norddeutschen Backsteingotik präsentiert. Allem voran war wohl der wirtschaftliche Erfolg des Klosters während der Bauzeit des gotischen Münsters in der Blütezeit des Klosters im späten 13. Jahrhunderts die Grundlage für die Errichtung als Nachfolgebau der romanischen Klosterkirche. Ob später immer genügend Ressourcen vorhanden waren, um auftretende Schäden zeitnah zu beseitigen, muss zunächst offen bleiben, da für diese Zeit keine Unterlagen existieren und das Kloster diverse Krisenzeiten zu überstehen hatte.

Ein Hauptpunkt für den Bauerhalt, und der ist vor allem nach der Auflösung des Klosters archivalisch greifbar, ist die Fürsorge für das Münster als Grablege der Herzogsfamilie. Immer wieder werden zum Teil erkleckliche Summen zur Verfügung gestellt, um das Münster zu erhalten, mehr noch, um den Ansprüchen einzelner Herzöge für die Sichtbarkeit des dynastischen Erbes gerecht zu werden. Diese Schlussfolgerungen sind nun wesentlich durch die Auswertung der Schriften im Landeshauptarchiv Schwerin belegt.

Eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung am Doberaner Münster, im Kirchenraum wie auch im Dachstuhl, spielen die schon erwähnten Zuganker. Im Hochschiff haben sich zwei mittelalterliche Originale über dem Altarraum in Holzausführung erhalten. Sie erfüllen nach wie vor ihre Aufgabe, werden dabei aber von zwei neuen Edelstahlankern unterstützt. Im Langhaus sind es auf gleicher Höhe zumeist in der Barockzeit erneuerte bzw. instandgesetzte Holzanker und in den Seitenschiffen historische Holz- bzw. Stahlanker. Im Chorumgang wurden im 19. Jahrhundert auch die weniger wirksamen älteren Konstruktionen durch Stahlanker ersetzt. Alles in allem ergibt sich damit ein komplexes statisches System. Sukzessive sollen nun nach Baufortschritt weitere der historischen Holzzuganker dendrochronologisch untersucht und damit die Bau- und Schadensgeschichte weiter erforscht und präzisiert werden. Ohne den stabilisierenden Effekt des Ankersystems hätte das Münster nicht überdauert.

Eine funktionelle Eigenart der hölzernen Zuganker besteht darin, dass ihr grundlegender Effekt auf die Baustabilität in ihrer gekrümmten Form besteht. Der Grund dafür liegt in der Krümmung das Holzbalkens selbst. Der ist über eine innen liegende ca. 1 – 3 cm starken und ca 50 – 80 cm langen schmiedeeiserne Metallplatte mit dem Haken der Wandung verbunden und bei einer Krümmung ist die kürzeste Entfernung zwischen der Einpunktaufhängung am Haken nun mal die Krümmung selbst. Auf diese Zuganker haben über die Jahrhunderte hinweg Kräfte gewirkt, die sogar ein teilweises herauslösen der Haken aus den Backsteinwänden zur Folge hatten (Bild), weil die Anker nicht durch das gesamte Mauerwerk gehen, das wiederum ein Hauptgrund für die statischen Probleme ist. Bei den neuen Zugankern aus Edelstahl, die 2008 eingesetzt wurden, ist das nicht mehr der Fall, sie werden kraftschlüssig bis auf die Außenseite des Mauerwerks geführt. Backsteinverblendet sind auch die Metallplatten am äußeren Ende der Anker im Mauerwerk nicht sichtbar.

Diese Erkenntnisse und Vorgehensweisen beruhen zum großen Teil auf der langjährigen Expertise der Fachleute Christian Kayser – München, Frank Thoms – BTZ Ingenieurbüro Rostock und dem Ehepaar Wagner – Boldekow-Rubenow in Abstimmung mit den an der Münsterbaukonferenz beteiligten kirchlichen und staatlichen Denkmalbehörden sowie der Münsterverwaltung der Kirchengemeinde. Manch einer der Schäden wurde auch erst bemerkt, nachdem die Gewölbe gereinigt und für die Sanierung der Fugen und Risse vorbereitet wurden. Und wenn man schon mal auf einem Gerüst in der Höhe des Kirchenraumes arbeiten kann, werden auch die Ausmalungen der Pfeiler und die der Hochschiffwände gereinigt und partiell instandgesetzt. Die dafür eingesetzten Materialien, wie zum Beispiel die verschiedenen Kalkarten oder der Hochbrandgips haben sich über die Zeit kaum verändert und man hat ihnen schon vor Jahrhunderten eine hohe Aufmerksamkeit geschenkt. So wurde z.B. im 18. Jahrhundert der hochwertige Gotlandkalk im Kirchenschiff selbst, genauer in der Bülow-Kapelle und der Kalkmergel im Beinhaus hinter dem Münster gelagert, was aus schriftlichen Quellen hervorgeht. In diesem Zusammenhang wird auch der Einsatz von Tierhaaren im Kalk erwähnt, der einen höhere Zugfestigkeit besitzt als normaler Kalk und u.a. zum Einsetzten der Fensterfelder eingesetzt wurde.

Zusammengenommen ergibt sich durch den Vortrag ein neues Bild auf die Zeit des Münsterbaus, seiner baulichen Erhaltung und den historischen Hintergründen. Im Anschluss an den Vortrag bestand für alle Teilnehmer die Möglichkeit, einen Blick auf die laufenden Arbeiten in den verschiedenen Arbeitsebenen durch den Aufstieg in die Gewölbe selbst zu werfen. Hier konnten auch noch einige interessante Fragen im direkten Gespräch mit Martin Heider und Peter Wagner erörtert werden (Bild). Angestoßen durch eine Frage äußerte sich Peter Wagner noch zur Farbgestaltung des Kircheninnenraumes.  Hier ist die Verwendung der Farbe Blau ja überall sichtbar. Aber war das immer so? Einige Indizien sprechen dafür, dass u.U. auch die Farbe Grün bzw. ein ineinander verwobenes Blau/Grün als Ausmalung der Rippen der Kreuzgewölbe möglich ist. Für Letzteres hat Peter Wagner nach der gründlichen Reinigung in einigen Bereichen diese Blau/Grüne-Farbgebung gefunden. Haben sich unsere Altvorderen nun geirrt? Die Lösung liegt möglicherweise in einer milieuabhängigen Umwandlung der verwendeten Farbpigmente, dem Azurit (blau) bzw. Malachit (grün). Die Blaue Farbe ist die instabilere und wandelt sich unter bestimmten Umständen in die stabilere grüne Farbe um, was vielleicht an einigen Stellen in Kirchenraum der Fall gewesen sein könnte. Beide Pigmente bestehen aus der gleichen Kupferverbindung, einem Kupfercarbonat, jedoch mit unterschiedlichen Wasseranteilen. Da in Abhängigkeit der Wassergehalte in der Luft und der Temperatur im Kirchenraum und der langen Zeit solche Umwandlungen möglich sind, wäre das ein brauchbare Erklärung für die gefundenen Farben, Blau und Grün.

Beim Abstieg über das Gerüst konnte man am Kreuzaltar noch einen direkten Blick auf die Schnitzereien am Kreuzes werfen, die in ihren Details sonst durch seine Höhe mehr zu erahnen als zu sehen sind. Dieser Möglichkeit, mit Maria und dem Kind einen direkten Blickkontakt aufzunehmen ist schon erhebend.

Mit vielen interessanten Eindrücken und neuem Wissen beladen verließen die Teilnehmer nach dem Vortrag und dem Rundgang in die Gewölbehöhe das Münster. Aus Richtung des Kornhauses drang Musik herüber und plötzlich fing es an zu regnen. Große dicke Tropfen fielen zur Erde…

Literaturtipp zur Thematik: Martin Heider, Christian Kayser (Herausgeber): Das Bad Doberaner Münster. Bau – Geschichte – Kontext, das man im Doberaner Münster erhalten kann.